Thema: Schiffskoch im Portrait

Magazin: ship & shore

 

Reportagefotos von Christoph Schomberg:

 

Textauszug:

 

FOOD FOR THE SOUL
Schiffskoch an Bord eines Containerschiffs
(Originalfassung, deutsch)


5.30 Uhr
Rodrigo Lazagas Wecker klingelt. Vor ihm liegen zwölf Stunden Arbeit in der Galley
auf dem A-Deck der E.R. Sydney. Dienstbeginn ist offiziell erst um 6.30 Uhr. „Ich bin
immer schon gegen sechs Uhr da, um die Vorbereitungen für den Tag in Ruhe
vorzunehmen.“, erklärt der 52-Jährige Philippino. Acht Monate ist Rodrigo Lazaga an
Bord, jeden Tag kocht er morgens, mittags und abends für die 20-köpfige Besatzung
des 3.400-TEU-Schiffes.
Erst vor drei Wochen hat er seinen Vorgänger in Hongkong abgelöst. Wenn er heute
aus dem Bullauge in der Galley blickt, kann er die Silhouette der mexikanischen
Pazifikküste sehen. Das Containerschiff nimmt Kurs auf Panama City. In ein paar
Tagen wird sein Arbeitsplatz auf der E.R. Sydney den Panamakanal durchqueren.
Der Koch gilt in Seefahrerkreisen als der wichtigste Mann an Bord – noch vor dem
Kapitän. Und das aus gutem Grund: „Die Männer sind so lange weg von zu Hause,
da ist es für die Seele unglaublich wichtig, dass das Essen gut ist“, sagt der
erfahrene Koch. Seine Kochkünste hat Lazaga auf so ziemlich allen Schiffstypen
zeigen dürfen. Da war zum Beispiel dieser Rettungskreuzer auf der Nordsee. An den
hat Lazaga recht stürmische Erinnerungen. „Wir sind natürlich oft bei heftigem
Seegang ausgelaufen. Kochen Sie mal Spiegeleier, wenn das Schiff von den Wellen
innerhalb weniger Sekunden hin und her geworfen wird“, sagt er. Heute morgen
braucht Lazaga nicht ums Gleichgewicht zu kämpfen, die See ist spiegelglatt. In der
Offiziersmesse liegen bereits ein Dutzend saftige Blutorangenhälften.


6.50 Uhr
Die Sonne ist über dem Horizont aufgegangen, die Spiegeleier landen in der Pfanne.
Sie schwimmen in reichlich Öl – ein alter Trick, wenn man größere Mengen auf
Vorrat brät und das Eigelb nicht so leicht platzen darf. „Die philippinische Crew hält
nichts von Toast mit Marmelade“, sagt Lazaga. „Die möchten morgens schon deftige
Sachen wie Bacon und Würstchen und dazu immer Reis!“
Während er 40 Frühstückseier hintereinander weg in die Pfanne haut, kocht er
Würstchen fürs Crewfrühstück und hat auch schon das Hühnchenfleisch für heute
Mittag aus dem Tiefkühlfach geholt. „Chicken a la King“ steht auf der Speisekarte, die
akkurat in einer Klarsichthülle in der Durchreiche liegt. Vorspeise: französische
Zwiebelsuppe. Steward Alan Bonote stellt eine große Reisschüssel in die Messe der
Crew. Neben dem Fenster hängt eine Wandergitarre, über der Durchreiche ein Foto
von Britney Spears.


7.20 Uhr
Die ersten Crewmember fahren mit dem Löffel in die Reisschüssel. Für die Offiziere
wird schon zum Frühstück a la carte gesorgt. Neben den Standards wie Rühreiern
zaubert Lazaga heute morgen noch ein Special, „Canadyan Toast“, mit reichlich
Schinken, Tomaten und Ei. Lazaga ist ein Meister der Gleichzeitigkeit. Und das muss
er heute in ganz besonderer Weise unter Beweis stellen. Denn am späten
Nachmittag findet das legendäre Barbecue auf dem C-Deck statt. Die Vorbereitungen laufen parallel zum Alltagsbetrieb. Wenn die Crew zu diesem monatlichen Ritual
zusammenkommt, biegen sich die Tische vor erlesenen Leckereien. Aus dem
Kühlfach zieht er jetzt einen der Protagonisten des Grillfestes: Das Spanferkel wird
aufgetaut. Es scheint zu grinsen.


7:24 Uhr
Die französische Zwiebelsuppe wird vorbereitet. Zwiebeln schneiden, Möhren
häckseln, alles wie im Zeitraffer. Der Dritte Offizier lässt sich in der Messe sehen.
Lazaga gibt seinem Steward ein Handzeichen. Steward Bonote nimmt die Bestellung
auf. Der Dritte, gezeichnet von einer einsamen Nachtschicht auf der Brücke, möchte
two fried eggs and bacon. Eine Bestellung wie der Startschuss bei einem Rennen.
Sekunden nach der Bestellung brät ihm Lazaga sein Wunsch-Frühstück. Das Wort
„Aufschub“ gibt es nicht in der Galley.


8:03
Der Kapitän und der Erste Offizier sitzen am Frühstückstisch. Der Koch schleppt
einen Eimer Kartoffeln aus der Vorratskammer. Die liegt eine steile Treppe tiefer.
Dosen mit Krebsfleisch, roten Bohnen, Anchovifilets in Sojaöl, Champignons, Kaffee,
thailändischer Weißweinessig, Cornflakes, säckeweise Reis: Hier lagert alles, was er
täglich braucht. Neben zwei Lagern mit Grundnahrungsmitteln und Konserven, gibt
es zwei Kühlkammern für die tiefgekühlten Fleisch- und Fischvorräte.
Ein weltweites Netzwerk von Zulieferen sorgt dafür, dass die Bestände immer
ordentlich gefüllt sind. Die Listen für den Einkauf stellt der Koch gemeinsam mit dem
Kapitän zusammen, der den Proviant-Etat verwaltet. Bei einer 20-köpfigen
Besatzung kommt da ordentlich etwas zusammen. Pro Monat brutzeln an die 1.200
Eier in der Pfanne, werden 270 Kilo Fleisch, 250 Kilo Gemüse und etwa 100 Kilo
Fisch vertilgt. „Bei einem hohen Anteil philippinischer Seeleuten, verbrauche ich im
Monat etwa drei Zentner Reis“, rechnet Lazaga. Aber es muss Klebereis sein: Die
philippinischen Seeleute essen am liebsten ohne Messer und Gabel.


9:37
Der letzte Frühstücksgast ist gegangen. Steward Bonote räumt in den Messen auf.
Mit Hochdruck arbeitet sein Chef parallel an den Vorbereitungen für das Mittagessen
in gut zwei Stunden und natürlich das Barbecue: Aus den Resten von gestern mischt
er einen Reissalat an. Der Thymian, der geraspelte Käse und der Weißwein stehen
griffbereit für die Zwiebelsuppe heute Mittag bereit.
Der Seemann Lazaga hat 27 Dienstjahre auf dem Buckel. „Angefangen habe ich als
Bordelektriker. Dann habe ich mein Talent für die Küche entdeckt.“ Dabei ist er
geblieben. Gegessen wird an Bord eines Schiffes nicht, was auf den Tisch kommt,
sondern was schmeckt. Und das ist bei einer internationalen Crew so unterschiedlich
wie die einzelnen Landesküchen. Vierländer Ente mit Rotkohl oder Königsberger
Klopse stehen ebenso auf dem Speiseplan wie landestypische Spezialitäten für die
philippinische Crew. Das heißt vor allem: viel Fleisch. Dazu gibt es Süßkartoffeln
oder mit Tamarind veredelte Suppen. „Ich muss als Koch auf einem international
zusammengestellten Containerschiff alles drauf haben.“


11:09 Uhr
Die Zwiebelsuppe ist fertig. Rodrigo Lazaga pellt Kartoffeln und guckt hinter sich zur
Uhr. Heute ist das Timing besonders wichtig. Auf den Punkt um 17 Uhr muss allesfürs Barbecue fertig sein. Und vorher gibt es ja auch noch „Chicken a la King“. In der
Küche riecht es jetzt nach Bambus: Der ist für die Suppe der philippinischen Crew.
Gleichzeitig schnetzelt er die Hähnchenfilets für die Barbecue-Schaschliks. Für ein
paar Stunden liegen sie dann in einer feinen Marinade, die er nebenbei anrührt. Der
Steward wäscht ab.


11:46 Uhr
Der Zweite hat nach Nachtschicht und ein paar Stunden Schlaf in der Messe Platz
genommen. Das Frühstück lässt er aus. Nimmt gleich die Zwiebelsuppe: Die
Essenszeiten richten sich nach den Wachwechseln an Bord, jeweils um 8, 12 und 16
und 20 Uhr – ein Rhythmus, der für Offiziere wie Mannschaftsgrade gleichermaßen
gilt. „Darauf stelle ich mich ein, das gehört zu meinem Job“, sagt Rodrigo Lazaga.
Nur nachts, muss sich die Crew selbst helfen: Wer eine Stärkung braucht, kann sich
ein Brot schmieren, im Kühlschrank ist immer ein Vorrat an Aufschnitt. Das
Spanferkel ist mittlerweile aufgetaut und wird über der Spüle noch einmal
abgewaschen. Es grinst immer noch.


13:30 Uhr
Das Mittagessen ist beendet, das Ferkel schmort im Ofen. Die Vorbereitungen fürs
Barbecue gehen auf die Zielgerade. Steward Bonote balanciert Paletten mit Cola und
Dosenbier die steile Treppe in den Kühlraum hinab. An der Eingangstür zur Galley
hängt jetzt die Schürze des Kochs am Haken: Er hat sich für eine halbe Stunde auf
dem Sofa im Crew Recreation Room aufs Ohr gehauen. Wenn er den
Schokoladenkuchen verziert, will er hellwach sein.


14:00
Noch drei Stunden bis zum Barbecue und noch alle Hände voll zu tun. Als erstes
nimmt sich Lazaga die Riesendorade vor. Und das ist Schwerstarbeit: Mit einem
Gummihammer treibt er das Beil zum Filetieren der Steaks in den Riesenfisch. Den
Fischkopf hat er tiefgefroren: „Der kommt bei Gelegenheit in die Suppe.“ Niemals hat
Effizienz besser geschmeckt.


15:45
Mit ruhiger Hand führt Rodrigo Lazaga den Sahnespender über den noch warmen
Schokoladenkuchen. Der Vater von vier erwachsenen Kindern ist Perfektonist: Mit
Sahne und einem Schuss Zuckercouleur zaubert er auch noch grüne Blätter zur
Verzierung auf den Kuchen. Und jetzt kommen die Riesengarnelen zum Garnieren
auf den Reissalat.


17:00
Geschafft, alles fertig. Dorade, Filetsteaks vom Angusrind, Truthahn, mexikanische
Grillwürstchen, diverse Salate, marinierte Hähnchenspieße und das Spanferkel. Das
grinst zwar immer noch, hat jetzt aber einen Apfel im Maul. Freudig facht die Crew
den riesigen Holzkohlegrill draußen auf dem C-Deck an. Vor dem Grill: eine Wand
aus Containern. Steward Bonote pendelt mit den vorbereiteten Speisen unermüdlich
zwischen Küche und C-Deck. Hier ist gute Kondition gefragt: Die E.R. Sydney hat
keinen Fahrstuhl. Der Festplatz auf dem Pazifik ist mit bunten Lichterketten und
Wimpeln geschmückt.


18:01
Rodrigo Lazaga isst.

 

21.30
Das Barbecue klingt allmählich aus. Rodrigo Lazaga ist längst wieder in die Galley
geeilt. Aufräumen, vorbereiten für morgen. Bevor er sich zurückzieht, blättert er noch
ein wenig in den internationalen News, die die Schiffscrew täglich per Mail bekommt.
Feierabend. Die Schürze hängt neben der Eingangstür der Küche. Kurzfristig.


© Christoph Schomberg