Thema: Fahrt durch den Panamakanal
Magazin: ship & shore
Textauszug:
Cruising with the Crocodiles
In zwölf Stunden vom Pazifik in den Atlantik: Eine Fahrt durch den Panamakanal auf der E.R. Sydney
2:01
Eigentlich hatte es um punkt zwei Uhr morgens los gehen sollen. Doch noch ist es absolut still hier oben. Second Mate Ionut Sandu ist diensthabender Offizier auf der Brücke der E.R. Sydney. Bei
gelöschtem Hauptlicht sorgen nur die digitalgrün leuchtenden Anzeigen der Navigationsinstrumente für eine vage Orientierung. Der Funkspruch von Flamenco Island, der Schaltzentrale der Panama
Canal Authority (ACP) kam noch vor null Uhr: Die Durchfahrt wird sich verschieben. Warum? „Darüber werden von der Kanalgesellschaft keine Angaben gemacht. Es ist einfach so“, sagt der rumänische
Offizier trocken. Verzögerungen wie diese sind normal für die Crew eines Containerschiffes, das vor den Toren des Panamakanals am pazifischen Puerto Balboa auf das Startsignal wartet. Die roten
und blauen Signallichter auf der Bucht vor Balboa weisen die Fahrrinne zum Eingang des Kanals.
2:48
„Bridge equipment tested. All in good order“ trägt Sandu in das Logbuch der E.R. Sydney ein. Und: „Commence heaving up anchor“. Das Schiff kommt in Wallung. Kapitän Fred Fey hatte um 2:30 seine
Position bezogen. Er gehört zu den erfahrensten Seeleuten der E.R.-Flotte überhaupt. Seit mehr als 40 Jahren fährt er zur See. „Den Panama-Kanal kenne ich natürlich von ungezählten Durchfahrten.
Aber sobald die Kanallotsen an Bord sind, habe ich hier für ein paar Stunden nicht mehr viel zu sagen“ sagt er. „Dann führen sie das Schiff.“
„Die Fahrt durch den Kanal beginnt grundsätzlich einen Tag vor der Passage“, erläutert Kapitän Fred Fey. Bei der Anfahrt am Vortag knistert 17 Seemeilen vor Panama City erstmals der Lotse
ACP-Station auf Flamenco Island über Funk auf die Brücke: Von der vorgelagerten Insel aus werden alle einkommenden Schiffe auf der Pazifikseite des Kanals in ihre Parkposition gelotst. Um 10:55
rasselt der elf Tonnen schwere Anker 30 Meter in die Tiefe. Der Ordinary Seaman Raul Compra hinter der Winde verschwindet in einer rotbraunen Staubwolke.
4:39
Die E.R. Sydney erreicht die erste Etappe: Die mächtige Bridge of Americas, die die beiden Americas verbindet. Hunderte Scheinwerfer an den Stahlträgern lassen die Bogenbrücke in der Dunkelheit
glitzern wie ein Schmuckstück. Für derlei romantische Betrachtungen sind die Pasacables nicht zu haben: Die 19 Mann starke Crew, abgestellt vom Kanalbetreiber ACP, ist jetzt per Zubringerboot an
Bord gekommen. Ihr Job ist es in den nächsten Stunden, die E.R. Sydney in den ersten beiden Schleusen sicher zu vertäuen und dafür zu sorgen, dass sie die wenigen Zentimeter Abstand zur Bordwand
auch einhält. Ein spanisches Stimmengewirr, Pfiffe und die ersten Kommandos des Líder Pascables schwirren an Bug und Heck. Der Chef der zweimal neun Mann starken Truppe ist leicht zu erkennen: Er
ist der einzige, der ein weißes Hemd trägt. Die anderen sind hellblau. Das Schiff scheint jetzt fest in panamaischer Hand.
5:20
„Entering first Chamber of Miraflores Lock“ notiert der Erste Offizier auf der Brücke. Er hat den Zweiten abgelöst, der jetzt am Heck die Durchfahrt überwacht. Noch ist es dunkel, die Pasacables
arbeiten im Scheinwerferlicht der Schleusenanlage. Das erste Schleusentor auf der insgesamt 81,6 Kilometer langen Passage durch den Kanal kommt in Sicht. Die wichtigste Aufgabe der Pasacables ist
das Vertäuen des Schiffes mit den E-Lokomotiven: Auf ihren Schienen an der Kaimauer halten sie die E.R. Sydney während der Schleusengänge in Balance: Die 50 Tonnen schweren Kraftprotze sind
längsseitig mit zwei traction units ausgestattet. Mit 4,8 km/h und einer Zugkraft von 311,8 kilonewton halten sie das Schiff auf Kurs. Insgesamt sechs Lokomotiven halten das Schiff an Heck
und Bug.
8:06
Jetzt im Sonnenlicht kann man die Schadspuren an den entgegenkommenden Schiffen sehen – und an den Schleusenwänden. „Ganz ohne jede Berührung zwischen Schleusen- und Schiffswand geht es nicht“,
erklärt der Dritte Offizier Ingo Wetzel, der heute zum dritten Mal durch den Kanal fährt. „Die Kunst besteht darin, den Kontakt soweit wie möglich zu mindern.“ Die Pasacables haben ihren Job erst
einmal erledigt und gehen von Bord - zurück zum nächsten Schiff, das heute durch den Kanal will.
Die Centenario Bridge kommt in Sicht. In diesem Abschnitt säumen Baustellen zur Erweiterung des Kanals die Strecke. Schaufelbagger in der Uferregion, Kipper, die von der Nock aus gesehen
wie Spielzeugautos auf einem Sandhaufen herumkurven. Viertürmige Drillboats für Bohrungen unter Wasser haben im Kanal Stellung bezogen. „Die Bauarbeiten müssen bei vollem Kanalbetrieb
vorangehen“, erläutert der Lotse. An Backbord ist ein mehrere Fußballfelder großes Sprengfeld zu sehen, dicht an dicht gespickt mit Dynamitladungen, bereit zu Zündung. Ein paar hundert Meter
weiter am Ufer des Kanals ruht sich ein Krokodil im Schatten aus. Ein Trupp Kormorane leistet ihm Gesellschaft.