Thema: Nachhaltigkeit

Kundenmagazin: Zwanzigzehn (HannoverMesse)

 

Textauszug:

 

01.12.2009


Konkurrenzlose Produktivität
Megatrend GreenTech, Energieeffizienz und Nachhaltigkeit: Interview mit Prof. Dr.
Martin Jänicke, Senior Policy Advisor und Experte für globale Umweltpolitik.


Herr Professor Jänicke, angesichts schwindender Ressourcen, Klimaerwärmung
und der gegenwärtigen Finanzkrise sei die Frage gestattet: Sind wir noch zu retten?
Da fangen Sie mit der schwierigsten Frage gleich an. Die Antwort Nein verbietet sich ja
allein aus ethischen Gründen. Ich beschäftige mich als Politikberater seit 1974 mit
Umweltpolitik und Ökologie, u.a. für das Bundeskanzleramt. Das ist eine lange Zeit, aber
es hat seither wirklich noch nie eine Situation gegeben mit so ambivalenten
Entwicklungsmöglichkeiten: Durch den Klimawandel können unsere ökologischen und
ökonomischen Lebensgrundlagen wirklich kaputt gehen. Und wir sind jetzt erst bei 0,8
Grad Erwärmung. Und selbst die beim Klimagipfel im Dezember in Kopenhagen
diskutierten Ziele reichen bisher erst für eine langfristigen Erwärmung von immer noch 4
Grad.


Also sind Sie eher pessimistisch?
Nein, das heißt es gerade nicht. Denn gleichzeitig haben wir heute ungeheure technische
und zunehmend auch biotechnische Potenziale zu Verfügung, um die Situation
einigermaßen in den Griff zu kriegen. Wir stehen also wirklich an einer radikalen
Weggabelung: Eine Richtung führt in den Abgrund und die andere zur Lösung der
Probleme.


Die grüne Wende ist das beherrschende Thema in den Feldern
Unternehmenspolitik, Technologie und Forschung. In Ihrem aktuellen Buch
„Megatrend Umweltinnovation“ beschreiben Sie die Notwendigkeit zum Umdenken.
Sind ökologisch nachhaltiges Wirtschaften und Energieeffizienz heute der
Schlüssel für unternehmerischen Erfolg?
Ja. Das ist eine Form der Produktivitätssteigerung, die konkurrenzlos ist. Die hundert
Prozent an Rohstoffen, die wir zur Produktion einsetzen, werden nur zu fünf Prozent zum
Produkt. Der lange Weg dahin ist eine technologisch erheblich reduzierbare
Verschwendung. Wenn man sie abbaut, senkt man zwangsläufig auch Kosten, soweit es die Vorleistungen in der Wertschöpfungskette betrifft. Gleichzeitig steigt der
vermarktungsfähige Wissensanteil der Produkte.


Der chinesische Markt gilt bei vielen Experten als das beste Beispiel der globalen
Trendwende…
China ist auch deshalb interessant, weil es lange Zeit gerade dort nicht danach aussah,
dass ökologisch nachhaltiges Wirtschaften ins Zentrum langfristiger wirtschaftpolitischer
Planung rücken würde. Jetzt gibt es dort einen radikalen Schwenk. Und das nicht
unbedingt wegen eines neuen Umweltbewusstseins, sondern weil sie verstanden haben:
Das sind die Märkte der Zukunft! Wenn irgendjemand noch Zweifel hat an der
Trendwende der globalen Wirtschaft hat, muss er sich nur angucken, was die Chinesen
wirtschaftpolitisch für wichtig halten.


Nimmt China auf dem grünen Weltmarkt eine Lead-Funktion ein?
Auf jeden Fall. Die wirtschaftspolitische Strategie der Chinesen liegt wesentlich in ihrer
Exportorientierung begründet. Das hat zur Folge, dass sie bei Photovoltaik, Windenergie,
Hybridautos, Elektroautos in eine Führungsposition aufrücken und bei E-Fahrrädern einen
eigenen Lead-Markt entwickelt haben. Nach dem Motto: Wir sind die ersten, wir schaffen
einen attraktiven Markt, damit das Produkt sich erst einmal bei uns entwickeln kann.


Haben wir den richtigen Weg denn bereits eingeschlagen?
Jein. Das Problem könnte ja sein, dass zwar eine starke Profitabilisierung der Umwelt
stattfindet, aber nicht genug Umweltverbesserung dabei herauskommt. In einer aktuellen
Studie von McKinsey hat man Einschätzungen, wonach allein technologische Lösungen
das Problem der Klimaerwärmung zu 80 Prozent lösen können, massiv nach unten
korrigiert: Mit technologischen Lösungsansätzen erreiche man zwar immer noch über 50
Prozent, aber der Rest sind Aufforstung, ökologische Landwirtschaft, Vitalisierung der
Naturräume.


Was aber nichts daran ändert, dass technologische Innovationen in einem nie da
gewesenen Maße zur Entlastung der Umwelt und damit zur Sicherung der
Lebensgrundlagen beitragen?
Korrekt. Das muss man ja realistisch sehen. Ich habe immer gesagt, dass der einfachste
Weg zu einer verbesserten Umwelt- und Wirtschaftssituation nicht primär über einen
kollektiven Bewusstseinswandel oder gar freiwilligen Verzicht führt, sondern über die
Profitabilität technischer Lösungen.


Trägt nicht auch strategischer Konsum - als Ausprägung eines
Bewusstseinswandels - zur Innovationsfreudigkeit der Unternehmen bei?
Sicher, das eine beeinflusst das andere, auch wenn es ein fataler Fehler wäre, primär vom
Konsumenten die Problemlösung zu erwarten. Neu ist allerdings das Tempo, in dem sich
auch hier die Dinge mittlerweile ändern. Darauf müssen sich die Unternehmen einstellen.
Ich fahre zum Beispiel einen 3-Liter-„Lupo“ von Volkswagen. Da er sich nicht so verkauft
hat wie erwartet, wurde das Modell nicht mehr aufgelegt. Was meinen Sie, was mir für den Wagen neuerdings für Summen geboten werden! Anders gesagt: Der Megatrend ist jetzt
schon ein Prozess, der sich dramatisch dynamisiert hat...


…und der als Jobmotor der Zukunft gilt.
Wir sind in den vergangenen zwei Jahren eher überrascht worden, wie stark der
Beschäftigungseffekt heute bereits ist. Es gab 2006 eine Studie der Europäischen Union
wie groß der Beschäftigungseffekt der Umweltindustrie ist, und das Ergebnis waren 2,2
Prozent des Bruttosozialprodukts. Immerhin! Das Interessante war allerdings, dass viele
Kategorien fehlten, für die es keine Daten gab.


Ein Beispiel?
Viele Bereiche, die man zur „Klimaschutzindustrie“ zählen könnte, werden unzulänglich
erfasst. Nehmen wir Eco-Construction, also ökologisch nachhaltiges Bauen. Eine Branche,
die einen großen Teil der diesbezüglichen Arbeitsplätze schafft – oder sichert – und weiter
zulegen wird. In jedem Fall gibt es einen noch größeren Job-Effekt, wenn man richtig
rechnet. Eine aktuelle Studie von Roland Berger kommt zu dem Schluss, dass wir heute
schon einen Anteil von acht Prozent EcoTech am Bruttosozialprodukt haben. Die
längerfristigen Prognosen für 2020 reichen bis zu 14 Prozent.


Welche Rolle spielen heute die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen in
Richtung GreenTech für die Planung und Investitionen der Unternehmen?
Der grüne Megatrend ist – wie Studien immer wieder verdeutlichen – weitgehend „politikgetrieben“.
Die Steuerungsfähigkeit der Politik ist insgesamt unzureichend, hat aber
deutlich zugenommen, wir erleben derzeit eine Renaissance der Politik. Die Tabuisierung
der Staatstätigkeit ist aus meiner Sicht endgültig vorbei. Und das hat gerade für die
Umweltindustrie eine besondere Bedeutung: Wir haben heute einen zunehmenden
„regulativen Wettbewerb“ zwischen Ländern wie Deutschland, Japan oder den USA und
China. Umweltinnovationen hängen davon ab, dass entwickelte Länder anspruchsvolle
Umweltziele umsetzen.


Wenn Sie einen internationalen Vergleich der Rahmenbedingungen ziehen würden –
wer steht beim Megatrend mit all seinen Implikationen und Entwicklungschancen
vorn im Ranking?
Ihrer Struktur nach ist die EU als Institution am besten dran. Der EU-Vertrag ist eine
Quasi-Verfassung mit einem hohen Anteil von Umweltregelungen. Noch wichtiger bei der
EU ist allerdings, dass öko-innovative Unternehmen hier starke Anreize finden. Das liegt u.
a. daran, dass Vorreiterländern genügend Spielraum eröffnet wird. Zugleich haben sie
gute Chancen, dass ihre umwelttechnischen Neuerungen auch einen europäischen Markt
finden. Denn die EU muss reagieren: Wird die Innovation zum Standard, wie etwa in den
80ern die Rauchgasentschwefelung für Kraftwerke oder der Katalysator, hat der
Produzent – in dem Falle deutsche Unternehmen – einen Markt. Pionierverhalten ist mehr
als ein feiner Charakterzug, sondern wird zum Wettbewerbsvorteil.


Ihre Empfehlung für Wirtschaft und Politik auf dem Weg in eine ökologisch
nachhaltige Zukunft?

Die Politik sollte mit ehrgeizigen Vorgaben den Innovationsprozess anheizen.


Wie es z.B. Japan mit dem Top-runner-Programm vorexerziert hat?
Exakt: Der Beste am Markt bestimmt den Standard, der zeitversetzt verbindlich gemacht
wird. Dadurch erhalten neue Top runner einen Anreiz. Ein anderes Beispiel ist die
deutsche Förderung der Erneuerbaren Energien: Erst hatten wir das bereits
anspruchsvolle Ziel: 20% grüner Strom bis 2020. Dann schuf dies eine eigene Dynamik,
sodass nach einigen Jahren das Ziel „mindestens 30“ aufgestellt werden konnte. Wir
haben in Deutschland mit Beginn der massiven Förderung von grünem Strom einen
regelrechten Boom an Patenten im Bereich Erneuerbare Energien erlebt. Auch in China
hat ein anspruchsvolles Ziel für Erneuerbare Energien eine Dynamik ausgelöst, die dazu
führte, dass die Ziele erheblich angehoben werden konnten. Je näher das Ziel dem aktuell
besten Stand der Technik kommt, desto stärker wird der Innovationsschub ausfallen. Für
Akteure aus Wirtschaft und Politik muss also gelten: Geht an die Grenze dessen, was
heute machbar ist.


Und dann sind wir noch zu retten?
Die Chance ist sicherlich da.


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